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Nachdenken über Kreativität

Wenn es heißt, jemand ist kreativ, dann verbindet sich diese Aussage mit vielen inneren Bildern und Bewertungen. Je nach Zusammenhang erscheinen diese mal positiv („Mann , bist Du kreativ“), mal negativ („kreatives Chaos“). Viele Wissenschaften – von der Psychologie bis zur Soziologie – beschäftigen sich mit den Inhalten des Begriffes und versuchen, ihm auf die Spur zu kommen. Das Wort als solches hat lateinische Wurzeln –„creare“ heißt schöpfen, schaffen.

Ich persönlich verknüpfe mit Kreativität noch einen anderen Begriff – den der Freiheit. Und zwar der Freiheit auf allen Ebenen. Sie fordert uns auf: „Mach es anders, mache es ganz auf deine eigene Weise“. Damit verbunden ist neben der Freiheit allerdings immer auch eine Last – mal leichter, mal schwerer. Sich von bekannten und bewährten Pfaden zu lösen, bedeutet ja auch gleichzeitig, ein unbekanntes Sumpfgebiet zu betreten. Wie weit kann ich mich dort vorwagen, ohne zu versinken? Welche Wege stellen sich als tragfähig heraus, welche führen ins Verderben?

Kreativität wirft schnell die Frage nach Anerkennung auf. Es ist ein stetes Ausloten der Grenze, die zwischen der anerkannten Ordnung und dem zerstörerischen Chaos verläuft. Wie viel Norm muss ich erfüllen, wie viel neue Freiheit darf sein, damit ich noch zum System dazugehöre? Oder anders formuliert: Wo ist die Grenze zwischen „Das ist genial“ und „Das ist voll durchgeknallt“.
Der Schmerz der Ausgrenzung ist groß. Das Unbewusste sucht sie deshalb zu vermeiden. Beim Streben nach Freiheit ist da eine nicht immer einfache Gratwanderung nötig. Denken wir nur an unsere Geschichte: eine kleine Ausgrenzung wird leicht zu mehr, und mehr – und irgendwann am Ende entsteht daraus sogar Vernichtung.
Aber nicht nur um den Schmerz geht es, sondern auch die Angst kommt irgendwann dazu. Diese Grenzbewegungen regeln wir nicht in langen Diskussionen mit anderen. Vielmehr laufen sie reflexartig in unserem Gehirn ab. Unser Reptiliengehirn (Kleinhirn), in dem sich rund die Hälfte unserer Nervenzellen befindet, warnt uns vor der Bedrohung. Bei Gefahr steuert dieser Teil unseres Hirns alle lebensrettenden Aktionen. Das für Entspannung zuständige Mittelhirn, das über weitaus weniger Nervenzellen verfügt, kann sich dagegen kaum durchsetzen.

Zum Leben gehört als unumstößliche Tatsache, dass jeder Moment erstmalig und einmalig ist. Unentwegt erschaffen, schöpfen, kreieren wir so unser Leben. Die Bewunderung, die ich in Konzerten und Museen den Künstlern, denen ich begegne, schenke – ihrer Freiheit, ihrem Mut und Einklang mit etwas Höherem – gilt es auch mir entgegenzubringen. Liebevoll gehe ich mit mir um, wenn ich meinen eigenen Einklang wahrnehme und meine unendlichen Momente der Schöpfungskraft wertschätze, auch wenn sie nicht an den Wänden einer Kunsthalle hängen.

An dieser Stelle wünsche ich uns allen, dass wir uns immer wieder an unsere Schöpfungskräfte erinnern und ihnen den für uns vorrangigen Wert einräumen.

 

Ulrike v. Bergmann-Korn, Ärztin und systemische Therapeutin
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